Ich habe mir letztens im Renaissance-Theater ein Theater ein Stück namens „Frühlings Erwachen“ angeschaut. Es war für mich schon ein sehr anstrengender Tag gewesen und ich hatte eigentlich vorgehabt während des Stückes ein kleines Nickerchen zu halten, vor allem nachdem mein Vater mir erklärt hatte, es wäre ein Stück über Liebe (davon habe ich ja noch nicht genug gehört), doch dann hat mich dieses Stück ziemlich in seinen Bann gezogen.
Das Stück im Original geschrieben von Frank Wedekind erschien im Jahr 1891 und ist größtenteils eine Erzählung über das Erwachsenwerden, geprägt von vielen eigenen Erfahrungen und Freundschaften. Die neue Version jedoch, die ich mir angeschaut habe, hat zwar diesen Grundgedanken behalten, aber doch einiges verändert.
Das Stück hat viel zu tun mit Sexualität. Aufkeimende Sexualität und auch die damit einhergehende Verunsicherung. Was bin ich? Wer bin ich? Das Stück schafft es, diese Thematik auf eine ganz schlaue Art anzugehen. Zuerst wird durch einen Witz über Pornosucht das Thema aufgebracht und dann kommt ein emotionaler Monolog über die unmöglichen, unerreichbaren „Ideale“, die Pornos erzeugen und was für ein verzerrtes Weltbild diese vermitteln. Es ist so genial gemacht, weil es durch einen lockeren Zugang schwierige Themen behandelt. Es spricht auch die jüngeren Zuschauer*innen auf eine Art an, die ihnen Spaß macht aber doch auch zum Nachdenken bringt.
Besonders gut gefielen mir die Dialoge. Normalerweise sehe ich ein Stück über Teenager und der erste Gedanke, der mir kommt, ist: „Das muss ein 60 Jahre alter Mann geschrieben haben, der noch nie in seinem Leben eine Konversation mit Jugendlichen hatte.“ Doch dieser Gedanke ist mir bei diesem Stück nie gekommen. Die Dialoge der Charaktere waren so realitätsnah, dass ich mich stark angesprochen gefühlt habe. Während dem Stück habe ich immer wieder Blicke mit meinem Vater ausgetauscht und sein Blick hat nur gesagt: Das bist ja du. Unangenehm durchaus. Aber wichtig. Es ist wichtig, dass Jugendliche sich in Charakteren wiederfinden können, die nicht nur perfekt sind. (Übrigens hat tatsächlich ein 59-jähriger Mann Regie geführt.)
Und die Charaktere. Die Charaktere. Ich habe eine emotionale Bindung zu allen Charakteren aufgebaut. In jedem Charakter könnte ich ein Stück irgendeiner Person wiederfinden, die ich kenne, ohne danach zu suchen. Aber von allen Charakteren war mein Lieblingscharakter Moritz. Moritz ist ein Loser. Er ist nicht unbeliebt, aber auch nicht beliebt. Er hat Freunde, aber nicht viele. Er steht unter starkem Notendruck von seinen Eltern ausgehend und ist durchgehend überarbeitet. Er rennt immer mit seinen Kopfhörern herum, in denen laut klassische Musik spielt und in seiner Tasche befindet sich immer Ritalin. Er ist sehr sensibel und emotional. Er philosophiert oft und gerne und sein Traum ist es einmal in die Antarktis zu fahren und die Polarlichter zu sehen.
Andere wichtige Charaktere: Melchior, ein anscheinend perfekter Typ. Gute Noten, nette entspannte Eltern und doch sieht er keinen Sinn in seinem Leben. Er will unbedingt anders sein und philosophiert ständig in sein Handy hinein, als wäre jeder Gedanke aus seinem Mund die Erkenntnis des Jahrhunderts. Wendla. Eine „linke“, emotionale, soziale und unüberlegte Person. Sie fühlt sich selbst so von ihrer Mutter unterdrückt, weil sie sich kein Tattoo stechen darf und denkt täglich darüber nach, wie es wäre geschlagen zu werden. Zusätzlich gibt es noch Daria, ein muslimisches Mädchen, dessen Geschichte leider viel zu realistisch war, Thea, die „Klassentussi“, Robert, den Athleten, und noch so viele „bekannte“ Charaktere. Doch was für mich hier den Unterschied zwischen diesen typischen Charakteren zu anderen macht, ist wie vielfältig sie sind. Sie passen alle in Stereotypen hinein, und doch haben alle eine so interessante Hintergrundgeschichte, die ihnen ein extrem facettenreiches Gesicht verleiht.
Und schließlich geht es, wie in meiner Überschrift schon angesprochen auch um Suizid. In Frühlingserwachen ist eines der Hauptthemen, dass Moritz sich umbringt. Nach seinem Tod verleugnet sein Vater, der an seinem Tod beteiligt war, dass Moritz sein Sohn war, auf dem Grabstein steht sogar der Mädchenname der Mutter.
Jetzt höre ich auf zu spoilern.
Um zu meinem originalen Punkt zurückzukommen: das Erwachsenwerden. Erwachsenwerden ist scheiße. Entweder man weiß viel zu wenig, oder man weiß viel zu viel, manche sehen dich als erwachsen, manche als Kind. Man wechselt ständig zwischen der allzu gewohnten Nostalgie der Kindheit und der Panik und Aufregung der unbekannten Zukunft. Alle sagen immer, die Jugend ist die beste Zeit des Lebens und man müsste sie genießen. Dazu sage ich nein. Warum sollte ich etwas genießen, das mich noch mehr an mir zweifeln lässt als der Physik-Unterricht? Zum Einen möchte ich kein Kind mehr sein. Ich hasse es, wenn Leute von oben auf mich herabsehen und mein Alter als einen Grund für ihr herablassendes Benehmen missbrauchen. Aber wenn mich dann jemand mit „Sie“ anspricht, dann ist da immer so ein Stich in meiner Brust. So als könnte ich das kleine Mädchen mit Zöpfen noch nicht ganz loslassen. Aus dem Stück ist mir noch ein Satz besonders im Kopf geblieben:
„Vielleicht wäre die Jugend schöner gewesen, wäre sie später im Leben gewesen.“
Als dann Leute gelacht haben, hätte ich mich fast entsetzt umgedreht. Wie kann man so etwas belächeln oder ansatzweise amüsant finden? Dieses Zitat werde ich jetzt jedes Mal, während ich versuche einzuschlafen, während ich an die Decke starre, überdenken.
Ich glaube die Essenz des Erwachsenwerden ist schwer zu beschreiben. Aber ich hoffe, ich konnte ihr ein wenig näherkommen. Doch ich bin fest davon überzeugt, dass niemand das Gefühl des Erwachsenwerdens in Worte fassen kann, weil es so vielfältig und herzzerreißend ist, sodass es nicht einmal die größten Dichter ausdrücken können.