Was braucht es für eine gelungene Kindererziehung? Ganz genau: adrette Röcke, ein Tanzverbot und einen Pfarrer, der vorm Teufel warnt. Das zumindest meinen die Siedler im amerikanischen Salem, 1692. Doch die puritanische Idylle wird gestört, als einige junge Mädchen behaupten, vom Teufel besessen zu sein. Sie beschuldigen zahllose Gemeindemitglieder, sie verzaubert zu haben, die daraufhin inhaftiert und zum Tode verurteilt werden – die Prozesse leiten hohe gerichtliche Beamte und ein geistlicher Hexen-Spezialist. Einzig John Procter, ein Bauer, zweifelt an der Besessenheit der Mädchen. Besonders, als deren Anführerin Abigail, mit der Proctor eine Affäre hatte, Proctors Ehefrau der Hexerei beschuldigt. Mit Hilfe seiner Magd Mary versucht Proctor die Stadt zur Vernunft zu bringen, woraufhin er selbst ins Gefängnis muss. Die einzige Möglichkeit, der Todesstrafe zu entkommen, wäre ein Geständnis. Doch John Proctor will nicht lügen und stirbt so als eines der letzten Opfer des Prozesses.
Was ich dazu sage?
Während wir uns über Hetze in neuen Medien alterieren, passiert das in Salem im Dreidimensionalen. Das Stück basiert auf den tatsächlichen Protokollen der damaligen Hexenprozesse – sogar die Namen sind die gleichen. Jemanden als Hexe anzuklagen ist sozusagen das Hass-Posting des 17. Jahrhunderts, wenn auch mit direkteren, gewalttätigeren Folgen.
Zwischen den den großen, dunklen Holzkreuzen, die als Allzweck-Requisiten mal Bäume, mal Säulen darstellen, geht es weniger um Leben und Tod, als um Ruf und Rufmord. Die Aufführung erinnert in ihrer Ruhe und Normalität fast an einen Film – nach jeder Szene wird es im Saal kurz dunkel, der Umbau wird von düsterer Musik untermalt. Neben dem durchaus unterhaltsamen Gruselgefühl – das mich bald schon dazu bringt, bei jedem Husten im Publikum zu erschrecken – schneidet das Stück auch einige aktuelle Themen an. Der Umgang mit Fremdem, (Aber-)Glaube und die Manipulierbarkeit der Menschen sind nur einige davon. Schade, dass Regisseur Martin Kušej diese kaum betont. Tituba, das erste Opfer der „Hexenjagd“ etwa, ist laut Text eine dunkelhäutige Sklavin, was sie 1692 so automatisch zur gesellschaftlichen Außenseiterin macht. Im Wiener Burgtheater hingegen braucht man eine Weile, um nachvollziehen zu können, wieso jeder von vorne herein Tituba gegenüber voreingenommen wirkt, die aussieht, spricht und gekleidet ist wie jede andere Frau im Stück. Einer von mehreren Punkten, durch die dem Stück der gesellschaftskritische Zahn gezogen wird. Doch Gesellschaft hin oder her, unterhalten werde ich in den dreieinhalb Stunden definitiv. So gut, dass ich nach der letzten Szene bei meinem eigenen Husten erschrecke.
Bilder-Copyright: Reinhard Werner/Burgtheater
Hier der Link zum Trailer des Burgtheaters. Das Stück steht nach wie vor am Spielplan, momentan ist aber keine Vorstellung im aktuellen Programm (bis 5. März).
Hexenjagd spielt übrigens auf die „Kommunistenjagd“ in den USA zur Zeit der McCarthy-Ära an – Arthur Miller war selbst Angeklagter.