Gastbeitrag

„Und jetzt: bitte alle lächeln!“ – FAUST im Volkstheater

„Faust.
Ein Name wie ein Stein.
Ein literarisches Gelände, wie ein Steinbruch, in dem Goethe sein ganzes Leben verbrachte und allen folgenden Generationen Raum für unendliche Grabungen, Bergung und geologische Feinarbeit ließ.“
(Obst Angela)

Viel Zeit zum Posen hatten wir nicht, als wir kurz nach Beginn der Vorstellung ein Klickgeräusch einer Kamera wahrnahmen und wenige Augenblicke später unsere ernsten – überhaupt nicht lächelnden – Gesichter auf einer riesigen Leinwand, die über die Bühne gespannt war, bestaunen konnten. Immer wieder schießt ein Live-Fotograf in schwarzem Outfit Fotos vom Publikum, und immer wieder tauchen neue Fotos der gaffenden Menge auf der Leinwand auf. Ein sehr spektakulärer Start! 

Obwohl ich zugeben muss, dass ich die ganze Vorstellung angespannt auf meinem Platz gesessen bin, mit der Angst, mein Abbild gleich wieder auf der Leinwand vorzufinden, wurden wir Foto-Models aus dem Publikum dann doch schnell gegen das Ensemble getauscht. Die Fotos aber begleiten den ganzen Abend. Egal ob Fausts Suizidgedanken beim Rasieren oder eine Nacht mit Gretchen, immer wieder tauchen Momente aus Fausts Leben auf der Leinwand auf. Die meisten Fotos werden in einem großen Würfel geschossen, der eindrucksvoll in der Mitte der Bühne thront. 

Der Text dazu wird über zwei Mikrofone links und rechts auf der Bühne gesprochen, und die Worte von Faust und Mephisto dringen von dort wuchtig und von viel Bühnennebel eingebettet immer weiter in den Zuschauerraum vor und brennen sich in das Gedächtnis des Publikums ein. 

Die Hauptrollen sind mehrfach besetzt. Faust gibt’s dreimal, Mephisto wird von zwei Frauen und einem Mann gespielt und Gretchen gibt‘s sogar viermal. Trotz der Vierfachbesetzung von Gretchen macht Faust in dieser Inszenierung keinen besonders verliebten Eindruck. Den Fotos auf der Leinwand geschuldet, auf denen Gretchen manchmal einen Kopf von Faust übergestülpt bekommt und so Faust mit Faust verkehrt, schleicht sich sogar langsam aber doch das Bild eines eher selbstverliebten Fausts ein. 

Trotz des eindrucksstarken Starts kann die Inszenierung ihr Niveau aber nicht bis zum Schluss halten, denn die handelnden Personen bleiben dann während der gesamten Vorstellung doch recht blass dargestellt. Oft wirken die Verse einstudiert und nicht wirklich ernst gemeint. Auf viel Interaktion zwischen den Schauspieler:innen wird in dieser Inszenierung auch nicht besonders viel Wert gelegt. Eher wird auf der Bühne einfach „das eigene Ding durchgezogen“ und aneinander „vorbeigespielt“. 

Im Grunde dreht sich in dieser Inszenierung alles um die Vergänglichkeit des Augenblicks. Theater und Fotografie, zwei Kunstformen die unterschiedlicher nicht sein könnten, haben doch etwas gemeinsam. Beide müssen sich der Unwiederholbarkeit des Moments stellen und sich wie ein Chamäleon an die Farbe und Form ihres Umfeldes anpassen. In dieser Inszenierung verschwimmt die Grenze zwischen Bild und Live-Gesehenem, zwischen bewegter und unbewegter Handlung und zwischen Moment und Aufnahme des Moments. Und genau darin liegt die Stärke der Inszenierung. 

Abschließend lässt sich sagen, dass diese farbenfrohe, kurzweilige Interpretation von Goethes Klassiker unbedingt sehenswert ist, und auf jeden Fall ein Highlight in meinem Theater-Herbst darstellt, und als im Volkstheater nach der knapp über zwei Stunden dauernden Vorstellung das Licht wieder anging, hatten wir wohl alle Fausts berühmten Satz im Kopf:

„Augenblick verweile doch, du bist so schön.“

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