Mit diesem Text nahm Caroline Bachner aus der 3CR am heurigen Literaturwettbewerb teil:
Meine Gedanken, 24.3.2022
Hallo, mein Name ist Lena, ich bin eigentlich ein ganz normales Mädchen bis auf ein paar Kleinigkeiten. Ich habe eine Behinderung oder eine Störung, keine Ahnung wie die Ärzte das nennen. Ich glaube sie wissen selbst nicht genau, was ich habe. Von außen sehe ich ganz normal aus, doch in meinem Kopf ist alles anders. Ich sehe alles anders, alles bunter, alles komplizierter, schöner, aber auch trauriger. Also eigentlich nehme ich alles anders wahr als normale Menschen. Deswegen fühle ich mich manchmal, naja, eigentlich sehr oft verlassen und allein, so als gäbe es die ganze Welt und mich. Ich wollte schon immer eine Person, die so ist wie ich. Dieser Wusch wird leider nie in Erfüllung gehen, da ich selbst nicht mal weiß, wer oder was ich eigentlich bin. Natürlich, ich bin ein Mensch, doch was heißt das eigentlich, frage ich mich manchmal. Ja klar, ich habe eine Lunge, ein Herz und noch vieles mehr, doch eigentlich ist es doch die Seele, das Gehirn, deine Gedanken, die dich und dein ganzes Leben ausmachen.
Ich weiß nicht, wann und ob ich diesen Text je irgendwem zeigen werde, denn in diesem Text sind meine tiefsten Gedanken, die in meinem einzigartigen, aber auch komischen Gehirn so drinnen sind. Doch falls das mal jemand lesen wird, fragt er sich bestimmt, was bei mir eigentlich so anders ist. Naja, beginnen wir so, ich sehe in Menschen nicht nur Gewand, Style oder deren Personality, ich sehe so viel mehr als normale Menschen. Ich sehe Farben, höre Lieder oder ich fühle sogar manchmal, was die Person, die vor mir steht, denkt. Wahrscheinlich denken jetzt alle, oha wie cool, doch glaubt mir, das ist es nicht. Ich kann meinen eigenen Sinnen nicht vertrauen.
Für manche ist das sicher schwer zu verstehen, also hier ein Beispiel. Wenn ich einen Menschen anschaue, sehe ich nicht nur die Person, die vor mir steht, sondern eine oder ganz viele Farben und ich höre eine Melodie oder sogar manchmal ein Lied. Wenn die Farbe rot ist, so rot wie Blut, so rot wie die schlimmste Erinnerung in deinem Kopf und die Melodie aggressiv klingt, heißt es, dass ich mich vor dem Menschen hüten sollte, auch wenn er anders scheint. Also eigentlich kann ich in die Seele von anderen blicken, zwar sehe ich keine Sätze, Wörter oder Geschichten, sondern Farben und Musik. Aber glaubt mir, Farben können so viel mehr sagen, als viele auf dieser Welt denken. Farben können einfach alles ausdrücken, Gefühle, Düfte, Gedanken, Dinge und noch so viel mehr. In meinem Gehirn sind Farben das, was für andere Menschen Adjektive sind.
Ihr könnt euch jetzt, hoffe ich, besser vorstellen, was an mir so anders ist. Jetzt möchte ich über einen Vorfall erzählen, der letzte Woche vorgefallen ist. Ich war auf dem Weg in die Schule und starrte, wie sehr oft, einfach ins Leere. Meine Gedanken waren gerade bei einem Mädchen meiner Schule, das eigentlich sehr ruhig und glücklich scheint. Doch wenn ich sie anschaue, sehe ich schwarz, tiefstes Schwarz, wie der der grausamste Albtraum, den ich je hatte oder haben werde. Ich überlegte gerade, was das wohl heißen würde. Plötzlich wurde mein Gedanke von einer Person, die neben mich getreten war, unterbrochen. Es war Alex, der Junge aus der Nebenklasse. Ich mochte ihn schon immer. Seine Seele trägt die Farbe Blau, die Farbe des Himmels, sie strahlt Ruhe, Geborgenheit, aber auch Wärme und Mut aus. Es ist meine Lieblingsfarbe, denn meine verstorbene Mutter trug diese Farbe. Immer wenn ich diesen Jungen sah, wurde mir warm, mein Herz begann zu schlagen und alles schien anders. Auf einmal berührte sein kleiner Finger zärtlich meine Handfläche. Ich wendete mich zu ihm und schaute in seine wunderschönen babyblauen Augen. Aber ich schaute nicht nur in seine Augen, ich schaute viel tiefer, so als würde ich ihn schon ewig kennen und alle Momente, die ich mit ihm erlebt hatte, in meinem Kopf durchgehen. Es war so seltsam, so etwas hatte ich davor noch nie in einem Menschen gesehen. Jetzt berührten sich nicht mehr nur unsere Finger, sondern unsere kompletten Hände. Ich spürte ein Kribbeln im Bauch und wusste nicht, was los war. Doch dann war dieser Moment auch schon vorbei. Er ließ meine Hand los, warf mir noch einen letzten Blick zu und überholte mich. Es waren nur ein paar Sekunden, aber es fühlte sich wie eine halbe Ewigkeit an.
Als ich in der Schule ankam, bemerkte ich, dass Alex mir einen Zettel mit seiner Telefonnummer zugesteckt hatte. Ich konnte den restlichen Tag nur noch an ihn denken. An seine perfekten Augen, seine haselnussbraunen Haare, die in sein Gesicht fallen, wenn er sich bewegt, an seine Hände, die so weich sind, wie frischgewaschene Bettwäsche. Es war eine Gedankenschleife. Immer wieder dasselbe. Als erstes er, dann Blau, diese vielfältige Farbe und dann mein Lieblingslied, das ich sehe, wenn ich ihn betrachte. Als ich zuhause angekommen war, beschloss ich, ihn anzurufen. Ich kramte mein Telefon aus meiner Schultasche und tippte seine Nummer ein. Meine Finger zitterten so sehr, dass es mich mehrere Versuche kostete, bis ich es endlich schaffte. Ich legte das Handy an mein Ohr und hörte, wie seine zarte Stimme abhob. Wir führten ein langes und intensives Gespräch. Ich fühlte mich so wohl wie noch nie.
Wenn ich jetzt so darüber nachdenke, glaube ich, dass ich die Person gefunden habe, nach der ich mich schon so lange sehne. Alex. Der Junge, der so ist wie ich. Er ist es zwar nicht, aber er versteht mich. Er akzeptiert mich so wie ich bin. Und langsam akzeptiere ich mich auch. Er hat mir geholfen mich selbst kennenzulernen. Dieses Gespräch hat alles verändert. Was auch immer in meinem Kopf vorgeht, es ist ein Teil von mir und das akzeptiere ich jetzt. Ich bin froh, dass ich das alles aufgeschrieben habe. Es hilft mir. Ich werde jetzt aufhören und mich mit Alex treffen. Ich bin so aufgeregt, aber ich weiß, dass es schön wird. Bis nachher, ich bin sicher, dass ich danach viel mehr zu schreiben habe.
Lena
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