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Keine subtile Moralpredigt – hoffe ich

Wie ich meine Sucht in den Griff bekam - und nein, ich nehme keine Drogen.

Achtung, Achtung! Dieser Text ist nichts für schwache Nerven! Wenn Sie potentiell stark social-media-abhängig sind, raten wir Ihnen dringend, diese Website sofort zu verlassen!

Und damit hallo und herzlich willkommen zurück auf k’mon (und keine Sorge, natürlich dürfen alle weiterlesen).

Hach ja, soziale Netzwerke. Etwas Schönes und Schreckliches zugleich. Unglaublich praktisch und zeitvertreibend, aber höchst giftig in hohen Mengen. Übertreibe ich? Keine Ahnung.

Was ich jedoch mit Sicherheit sagen kann, ist, dass ich dank WhatsApp, Instagram, YouTube, Snapchat und wie sie auch alle heißen mögen seltener mein Zimmer verlasse, kaum Klavier spiele, weniger zeichne, seltener lese und seltener schreibe (außer natürlich Textnachrichten und Kommentare). Stundenlang dümple ich in meinem Feed, klicke ein Video nach dem anderen an und gehe irgendwann schlafen. In meinen Augen eher bedenklich. Trotzdem war bis vor etwa zwei Monaten keine Änderung diesbezüglich in Sicht.

Doch dann kam er. Der geniale Plan. Nicht mir, sondern meinem Klassenkameraden Andrej (Name von der Redaktion geändert). Andrej und mich verbindet seit kurz nach dem Schuljahresbeginn etwas ganz Besonderes: Duolingo. Das ist diese App zum Sprachenlernen mit der grünen Eule, die mehrmals am Tag deine Benachrichtigungsleiste zuspammt, um dich zum Weiterlernen zu zwingen. Ich lerne dort Schwedisch, Andrej irgendeine wilde Mischung aus Tschechisch, Chinesisch und Esperanto. Jedenfalls hatte er mir schon einige Male davon berichtet, wie schade es eigentlich sei, dass er so viel Zeit auf YouTube verbrächte, wo er doch eigentlich in dieser Zeit seinen Duolingo-Streak erhöhen könnte, um nicht den Zorn der Duolingo-Eule zu provozieren. Dann schließlich kam der denkwürdige Tag. Es war der Abend des 29. Novembers 2018, als ich eine Nachricht von Andrej erhielt: Er wolle einen Social-Media-Entzug machen, ob ich auch dabei sei. Zu diesem Zeitpunkt waren auf meinem Handy YouTube, Instagram, Reddit und WhatsApp installiert (Snapchat hatte ich schon davor aufgegeben. Alle schreien dich an, wenn du die heiligen Flammen verlierst. Völlig lächerlich.) Wir einigten uns aus rein praktischen Gründen darauf, WhatsApp zu behalten, die anderen Netzwerke jedoch flogen raus.

Um es also kurz zu sagen: Seither bin ich clean. Clean von Social Media. Das heißt, nicht ganz. Erstens ist in einem Zusatzparagraphen die Erlaubnis zum Musikhören via YouTube geregelt (ich habe mir außerdem auch den neuen Harry Podcast von coldmirror angehört, ich hoffe, das verstößt nicht gegen die Regeln, bitte nenn mich nicht Suchti, Andrej), zweitens dürfen uns andere Menschen etwas auf YouTube oder Instagram zeigen und drittens ist da immer noch WhatsApp und ich möchte nicht wissen, wie viele Stunden ich täglich DAMIT verbringe.

Möglicherweise klammern wir uns also immer noch irgendwie an die paar Dinge, die uns von Social Media bleiben. Ich habe jedoch seit dem 29. November außerdem ziemlich häufig mein Zimmer verlassen, öfters Klavier gespielt, hin und wieder gezeichnet, lese jetzt Harry Potter auf Schwedisch und schreibe in diesem Moment etwas anderes als Textnachrichten oder Kommentare. Ich sehe also eine vielleicht eher kleine, aber vorhandene Änderung in meinem Leben – und, glaubt es oder nicht, ich habe keine Entzugserscheinungen oder Panik, weil sich in meinem Instagram-Feed vermutlich tausende Fotos türmen und ich die neuesten Videos von BuzzFeed nicht gesehen habe. Verpasst habe ich scheinbar nur die häufig auf YouTube geschaltete FPÖ-Wahlwerbung, was ich jetzt nicht allzu betrüblich finde. Glücklicherweise werde ich auch immer aufgeregt von mindestens einer Freundin angeschrieben, wenn es ein neues Lied von Billie Eilish auf YouTube gibt. Ich höre es mir dann eben an, ohne das Musikvideo anzuschauen. Das kann ich schon verkraften.

Übrigens, ein fixes Ende für den Entzug ist nicht festgesetzt. Am Anfang hieß es „Wer zuerst aufgibt“, aber da bisher bei keinem von uns das Bedürfnis dazu aufgekommen ist, bleibt es spannend. Möglicherweise scheitert es irgendwann im Sommer, vielleicht auch schon früher, vielleicht aber auch gar nicht. Ohne also wie ein Moralapostel klingen zu wollen: Es ist möglich, ohne Instagram, YouTube oder Snapchat zu leben. Ganz vielleicht und unter Umständen erlaube ich es mir sogar, das „möglich“ durch ein „besser“ zu ersetzen, aber ich weiß, das muss jeder für sich entscheiden. Liebe*r Leser*in, fühle dich trotzdem ein kleines bisschen dazu animiert, irgendwann einmal gegebenenfalls ein ähnliches Experiment zu wagen. Oder installiere zumindest Duolingo, damit die grüne Eule nicht in der Nacht mit einem Messer vor deinem Bett steht.

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